„Die Tänzerin von Auschwitz – Die Geschichte einer unbeugsamen Frau „ von Paul Glaser ist bereits 2010 als „Tante Roosje. Het oorlogsgeheim van mijn familie“ bei Verbum in den Niederlanden erschienen und wurde nun durch den Aufbau Verlag auch den deutschen Lesern zugänglich. Der Klappentext macht neugierig:
“Eines der außergewöhnlichsten Leben des 20. Jahrhunderts.“ The Washington Times
Während eines Besuchs im Vernichtungslager Auschwitz entdeckt Paul Glaser einen Koffer – beschriftet mit seinem Familiennamen. Es beginnt die zaghafte Entdeckung der verdrängten jüdischen Wurzeln seiner Familie und der unglaublichen Überlebensgeschichte seiner Tante Roosje, einer temperamentvollen und emanzipierten Tanzlehrerin, die ihren Lebensmut gegen den nationalsozialistischen Terror verteidigt. Aus Roosjes Tagebüchern und Briefen setzt Glaser ihre Biographie zusammen – ein authentischer und emotionaler Überlebensbericht, der zugleich vom Kampf zwischen Erinnern und Vergessen in einer Familie erzählt.
286 Seiten und 33 Fotos später bin ich sehr berührt.
Im Vorwort schreibt Paul Glaser: „Als ältester Vertreter der Nachkriegsgeneration meiner Familie habe ich die Geschichte meiner Tante zu einem Buch verarbeitet. Es zeigt, was Charakterstärke und Optimismus bewirken können, wenn es hart auf hart kommt. Erzählen Sie es weiter.“ Das mache ich gerne.
Paul Glaser reist 2002 aus dienstlichen Gründen nach Krakau und verbindet dies eher widerwillig mit einem Besuch im Konzentrationslager Auschwitz. Dort entdeckt er unter zahllosen Koffern ehemaliger Häftlinge einen, der seinen Familiennamen trägt. Nach einer unruhigen Nacht stellt er sich dem Familiengeheimnis um seine Tante Roosje und beschließt, dieses endlich öffentlich zu machen.
Deren Tagebuchaufzeichnungen beginnen im Buch zunächst im Jahre 1934. Als 20jährige verliebt sie sich in den Piloten Wim. Wim kommt zwei Jahre später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Leo, seines Zeichens Tanzlehrer holt Roosje aus der Depression, heiratet sie und gründet gemeinsam mit ihr eine erfolgreiche Tanzschule. Leider steht diese Ehe unter keinem guten Stern.
In zwei Handlungssträngen erfahren wir, wie Paul sich so nach und nach an die Geschichte seiner Familie herantastet und lesen parallel in Roosjes Tagebuch und Briefen.
Nachdem die Deutschen 1940 in den Niederlanden einmarschiert sind, versucht Roosje, die 1914 in Nijmegen geboren wurde, so lange wie möglich ihre Tanzschule auf Dachboden im Elternhaus zu betreiben und am alten Leben festzuhalten. Sie weigert sich, nachdem am 2. Mai 1942 in den Niederlanden der Davidstern eingeführt wurde, diesen in aller Öffentlichkeit zu tragen. Wenig später muss sie jedoch untertauchen und wird sowohl vom Ex-Ehemann Leo Crielaars als auch vom Liebhaber (und Hochstapler) Kees van Meteren denunziert. Am 6. Oktober 1942 wird Roosje verhaftet, gelangt über das Durchgangslager Westerbork und das Arbeitslager in Vught im September 1943 nach Auschwitz.
Dort kämpft sie tapfer und voller Lebensmut ums Überleben, auch wenn sie zum Opfer medizinischer Experimente und sterilisiert wird – und im kaum zu verkraftenden Sonderkommando in den Gaskammern von Birkenau arbeiten muss. Mit dem Mut der Verzweiflung bittet sie, nachdem sie eine ihrer Cousinen unter den Opfern entdeckt und zusammenbricht, ihren Gruppenleiter um Versetzung in eine Munitionsfabrik. Durch einen glücklichen Zufall und aufgrund ihrer deutschen Sprachkenntnisse bekommt sie einen Job in der Verwaltung der Granatenproduktion. Die Büroarbeit macht das Dasein erträglicher. Roosje freundet sich in langen Gesprächen mit ihrem Chef Kurt an. Sie schlägt ihm vor, Tanz- und Klavierspielabende für die SS-Offiziere zu organisieren. Der Auftritt wird ein Erfolg. Schon bald gibt sie auch Tanz- und Benimmunterricht. Für Brot, für eine größere Überlebenschance. Offenbar ist die junge Frau trotz der denkbar widrigen Umstände attraktiv und charmant. Sie beginnt eine Affäre mit Kurt.
Als die Rote Armee näher kommt, werden die Häftlinge des Lagers im Januar 1945 auf den Todesmarsch gen Westen geschickt. Mit viel Glück überlebt sie diesen, verlässt Deutschland, in dem sie sich gegenüber dem Roten Kreuz als Dänin ausgibt und findet schließlich in Schweden eine neue Heimat. Dort heiratet sie 1946 den Schiffsingenieur Elon Nordström.
Von Schweden aus kämpft sie weiter gegen den Antisemitismus, der in den Niederlanden auch nach dem Krieg noch weit verbreitet ist, und um Wiedergutmachung und Entschädigung.
Paul Glaser besucht seine Tante in Stockholm. Zunächst lässt sie ihren Neffen nicht hinein, um dann aber doch am nächsten Tag lange und ausführlich mit ihm zu sprechen, Fragen zu beantworten und alte Fotoalben zu betrachten, die sie 1942 in ’s-Hertogenbosch vergraben hatte. Paul Glaser hat sie nur ein einziges Mal getroffen.
Roosje stirbt im Jahr 2000 im Alter von 86 Jahren.
(Für Daggis Buch-Challenge 2015 kann ich nun den Punkt 7 „ein Buch, mit einem Mann oder einer Frau auf dem Cover“ abhaken.)
Wow, es gab schon tolle Menschen, die ihren Mut nicht verloren.
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Ich finde bewundernswert, dass sie nicht aufgegeben hat.
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Auch dieses Buch klingt wieder ausgesprochen interessant.
Lieben Gruß
Elke
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Danke schön. Es las sich gut. Vielleicht auch, weil man das Grauen rundherum nur angedeutet bekommt.
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Hört sich sehr interessant an. Danke für den Tipp!
Liebe Grüße
Anna-Lena
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Gerne. Meist lese ich ja die interessanten Buchtipps bei Dir.
Fein, wenn ich auch mal was für Dich dabei habe.
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Mir fällt es immer sehr schwer, eine Buch-Rezession zu schreiben, weil ich mich meist in den Einzelheiten verliere. Dagegen ist es dir gelungen, den Handlungsstrang knapp zusammenzufassen und dabei das Interesse an den Protagonisten zu wecken, was ich besonders vor diesem geschichtlichen Hintergrund als sehr herausfordernd empfinde.
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Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat, mich bei Daggi und der Buch-Challenge anzumelden. Jedenfalls tue ich mich unglaublich schwer mit einer Rezension. Das ist jedes Mal eine echte Herausforderung. Und irgendwie finde ich selten die, in meinen Augen wirklich passenden Worte. Darum freue ich mich besonders über Dein positives Feedback. Danke schön.
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Der geschichtliche Hintergrund berührt mich sehr. Selbst wenn das Grauen rundherum nur angedeutet wird. weiss man doch worum es geht. Einige wenige überlebten dieses Grauen. Jedes dieser Schicksale ist ein ausserordentliches. Paul Glaser hat da wohl dieses sehr interessant Leben seiner Tante sehr gut zusammen gefasst. Vielen Dank für diese gute Review.
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Ich glaube, wenn man weiss, dass es keine fiktive Story ist, dann geht der Leser noch einmal anders mit solchen Büchern um.
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ich freu mich schon, dieses Buch zu lesen, danke schoen an dich
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Ich bin sehr gespannt, wie es sich mit Deinen Augen liest.
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