Ich finde es außerordentlich schwierig, mich diesem Ausflugsziel bloggend angemessen zu nähern. Vor allem, weil ich absolut keine Lust verspüre, diesen Beitrag zur Plattform rückwärtsgerichteter Kommentare zu machen. Insofern werde ich, falls erforderlich, angekündigterweise definitiv kommentarzensierend eingreifen.
Der Besuch des Historisch-Technischen Museums anlässlich unseres verlängerten Wochendendes auf der Halbinsel Usedom war für uns technikaffine Geister ein absolutes must have. Für die Tonaris, die wir schon das Wohnhaus des Vater der Raumfahrt, Herrn Ziolkowski, im russischen Kaluga und das amerikanische Raketenstartgelände Cape Canaveral eigenäugig gesehen hatten, gehörte eine Besichtigung des Ortes, an dem die Wiege der Raumfahrt stand und 1942 die erste Rakete erfolgreich gestartet wurde, einfach zum Pflichtprogramm.
Das Museum befasst sich mit der Geschichte der Heeresversuchsanstalt, also einem Gelände, das zwischen 1936 und 1945 zu den modernsten Technologiezentren der Welt gehörte. Da liegen brennender Forschergeist, begeisterter technischer Entdeckerdrang und grauenvolle ideologische und militärische Ausnutzung und Perversion sehr, sehr nahe beieinander. Erschreckend, was Menschen aus an sich brillianten Ideen so machen (können).
Das Museumsareal wird heute dominiert vom noch erhaltenen ehemaligen Kraftwerk der Versuchsanstalt.
Hinzu kommen ein paar zusätzliche Exponate auf dem Freigelände. Beispielweise dem Modell 1:1 der Flüssigkeitsrakete Aggregat 4, Baujahr1942, nachbgebaut mit Originalteilen, auch hinsichtlich der Farbgestaltung und des Bildes mit der „Frau im Mond“. In rund 5 Minuten konnten damit Ziele mit rund 190 km Entfernung erreicht und zerstört werden.
Das ist die Walter-Schlitzrohr-Schleuder, eine Abschussrampe, mit deren Hilfe ab Sommer 1943 die Flügelbomben V1 erprobt wurden.
Hier sieht man die Fieseler FI 103 „Kirschkern“, auch bekannt als V1. Die Tests für diese Rakete wurden ab Herbst 1942 in Peenemünde durchgeführt, um ab Juni 1944 ca. 22.000 dieser Terrorwaffen gegen Ziele in Westeuropa zu richten.
Huch, was macht denn die Berliner S-Bahn in dieser Gegend? Der Werksverkehr auf Usedom wurde offenbar 1:1 aus der Hauptstadt importiert 😉 Dieses ausgestellte Exemplar war übrigens bis 1978 noch für die bayrische Isartalbahn in Betrieb.
Im Inneren des Museum fanden sich einige Räume mit technischen Details
und eine große Sammlung von historischem Wissen anhand von Schautafeln.
Das Kraftwerk tat ab November 1942 in den Dienst. Forschung und Produktion forderten Elektrizität in großen Mengen. Bis 1990 blieb die Anlage auch als Energielieferant für die DDR in Betrieb.
Erst einen Tag vor unserem Besuch wurde die Besichtigung des historischen Kesselhauses in Form einer Dauerausstellung frei gegeben. Meine geknipsten Staubablagerungen und Spinnweben sind also absolut historisch 😉
Da lacht das Herz des Rohrleitungsbauers 🙂
Brecherhaus und die 210m lange Krankonstruktion sind Bestandteile der Bekohlungsanlage des Kraftwerkes, der Bekohlungskran ein gern genommenes Fotomotiv.
Fazit: Seltsame Gefühle begleiteten mich während der Besichtigung des Museums. Ich konnte die Begeisterung der Techniker und Ingenieure spüren, die neue, revolutionäre Wege ins All beschreiten wollten; ich konnte das Grauen mitnehmen, was Ideologie daraus gemacht hat. Ich bin zerissen zwischen neugierigem Forscherdrang und vereinnahmender Politik.
Und ich danke von Herzen den Ausstellungsmachern, dass sie sehr sensibel diese Gratwanderung gut inszeniert, lehrreich und verständlich gemacht haben. Es ist ihnen gelungen, ein technisches und ein emotionales Denkmal zu schaffen.
Vielen Dank für diesen Bericht, die beeindruckenden Fotos und die Erinnerung.
Peenemünde!
Ich war da wohl 3-4 mal während meiner Aufenthalte im Ferienlager in Karlshagen. Da war der Focus natürlich auf das Arbeitslager gerichtet. Ein ehemaliger KZ-Häftling war immer da und hat von damals erzählt. Russische Kriegsgefangene waren das meistens. Wenn ich Deinen Blog sehe, merke ich, ich muss da noch mal hin, um mein Bild von Peenemünde zu komplettieren. Ich bin ja der totale Weltraumflugfan! Nur ich weiß genau, ich kann da nicht aus meiner anerzogenen Haut raus, ich wäre enttäuscht, wenn sich das Museum nur auf die Technik „beschränken“ würde. Deshalb meine sehr vorsichtige Frage: Erinnert man da auch noch an die Gefangenen? Nicht so dominant wie zu DDR-Zeiten, aber doch auch?
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Natürlich wird auch ausführlich an das Kapitel der KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen erinnert. Ihnen sind im Museum mehrere Räume gewidmet. Auch der Bogen zur Verlagerung der Produktion in das KZ Mittelbau-Dora wurde geschlagen. Ich finde, es ist gut gelungen, auch an solche Dinge zu erinnern, ohne dass der erhobene „DDR“-Zeigefinger über allem schwebt.
Insofern war ich diejenige, die ihren Blogbeitrag versucht hat, auf die Technik zu beschränken 😉
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Ja, das ist ok. Und Dein Blogeintrag wirklich gelungen und inspirierend! Ich wollte halt nur vorbeugend nachfragen. Denn wenn ich dahin fahre, dann wegen der Technik, die ja zu DDR-Zeiten vernachlässigt wurde. Das andere hätte mir dann aber eben doch gefehlt…
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Eine schöne Erinnerung für mich. Als ich damals mit meinem Mann dort war, war die Ausstellung noch kleiner. Zumindest erinnere ich mich nicht daran, dass man in Gebäude reingehen konnte. Ach doch, einen Film über die damalige Zeit und den Fortschritt der damaligen Raktenforschung konnten wir sehen.
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Danke für diesen so ausführlichen, interessant geschriebenen und Stellung nehmenden Artikel zu diesem Kapitel der deutschen (Heeres- und Politik-)Geschichte. – Warum ich dort noch nicht drin war, begreife ich nach deinen Erläuterungen gar nicht mehr, denn ich zähle mich auch zu den Technikbegeisterten.
Sicher ist es sehr wichtig, den sehr unrühmlichen Teil mit der Arbeit der Kriegsgefangenen in dieser Produktionsstätte von Grauen, aber auch in der Forschungsstätte für bahnbrechende Ideen.
Danke, liebe tonari, sagt
Clara
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Ich war im Rahmen einer Klassenfahrt vor einigen Jahren mit Zehntklässlern da.
Unsere Geschichte ist auch unsere Vergangenheit, die weitergegeben werden muss.
Peenemünde ist ein wichtiges Zeugnis dafür.
LG Anna-Lena
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Ich war Jahr 2007 dort.Fand das sehr interessant.
Es ist absolut sehenswert und wichtige History.
Liegt die U461 (altes U-Boot von Ru) auch noch da ?
Danke für deinen ausführlichen Bericht.
Liebe Grüsse, Elke
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Ja, liebe Elke, das U-Boot (Baujahr 61) gibt es dort immer noch. Ich hab mir in seinem Inneren so dermaßen blaue Flecke geholt, dass es einen eigenen Beitrag bekommt 😉
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Ja, die Anfänge der auch mich so sehr faszinierenden Raumfahrt wurzeln in einem Ozean aus Blut, Schweiss und Tränen, und dem Leid so sehr Vieler… Erschütternd ist, dass auch ein Wernher von Braun, der ja nur etwa zwei Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg „Held“ der amerikanischen Raumfahrt wurde, von den ideologischen Grausamkeiten und Perversionen durchaus gewusst hatte…
Das ist ein sehr guter und lesenswerter Post, meine Liebe! Ich danke dir dafür!
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Wir waren vor ein paar Jahren auch mal da. Interessant, auch erschreckend, wie dicht die Dinge der Geschichte beieinander liegen.
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Ich war auch schon dort und fand die Ausstellung sehr interessant. Deine Bilder wecken Erinnerungen.
Liebe Grüße!
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Sehr interessante Reportage! Danke für die vielen tollen Bilder und die Informationen.
LG Esther
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